Redebeitrag zum Gedenken in Hiltrup
19. November 2024
Gedenkveranstaltung, Hiltrup, Zwangsarbeiter*innen
„Kein Platz für Flüchtlinge…“
Redebeitrag zum sogenannten „Volkstrauertag“ am 17.11.2024 in Alt-St.Clemens, MS-Hiltrup
Teil 1:
Die aktuellen Stimmungslagen in der deutschen Bevölkerung und der Politik haben viele von uns seit Jahresbeginn umgetrieben. Dort war ja durch die Correctiv-Recherche öffentlich geworden, dass es sowohl konkrete Gedankenspiele, aber auch Vorplanungen für eine „Remigration“ beschönigte Deportation von Menschen gibt. Viele Menschen trieb es danach zu Demonstrationen auf die Straße.
Zeitgleich ließen sich fast alle Bundestagsparteien von der AfD dazu treiben, das Asylrecht weiter zurückzubauen. Es wurden immer weitere Herkunftsländer als sicher eingestuft. Die Stimmung der Bevölkerung schien zu kippen und aktuell sehen 80% der Deutschen die Einwanderung von Asylsuchenden nach Deutschland als Problem an. Die von der Ampel-Regierung aufgeheizte Debatte über Migration, Grenzverteidigung und Grundrechtskürzungen für Geflüchtete zeigt, dass die Forderung nach konsequenten Abschiebungen so gut wie keine Gegenwehr bekommt.
Dieses hat uns zu unserem Titel „Kein Platz für Flüchtlinge…“ bewogen.
Woher kam es denn eigentlich, dass das Grundrecht auf Asyl im Grundgesetz festgeschrieben ist oder auch Eingang fand in die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951?
Es war der massenhafte Versuch von Deutschen vor dem Hitler-Faschismus zu fliehen. Später dann auch anderer Europäer*innen, die vor der heranrückenden deutschen Armee fliehen wollten. Denn bei dem Versuch blieb es für viele Millionen Menschen, da kein Land sie aufnehmen wollte oder sich überhaupt anbot zur Einwanderung. Viele Deutsche wollten auch nicht fliehen, weil sie sich nicht vorstellen konnten, dass es zu der Shoa, der Massenvernichtung von Menschen kommen könnte.
Die Menschen, die fliehen wollten, wurden in Deutschland verfolgt aufgrund ihrer Herkunft, Religion, Weltanschauung oder der politischen Einstellung. Meist wurden sie aus rassistischen Gründen verfolgt, aber eben auch aufgrund ihrer Weltanschauung und der politischen Einstellung.
Ein Beispiel ist das der Adele Kurzweil, einer Jugendlichen, die aus Österreich mit ihrer Familie nach Frankreich floh. Ihre Familie war sozialdemokratisch und sie waren jüdischer Abstammung. Leider war die Flucht nach Frankreich nicht weit genug und sie wurde am 09.09.1942 in Auschwitz ermordet. Ihr Koffer wurde 1990 von einem Geschichtsstudenten in Auvillar gefunden.
Ein weiteres bekanntes Beispiel ist das des deutschen Schiffes St. Louis, dass mit 937 jüdischen Menschen an Bord auf dem Weg nach Kuba war. Das Schicksal und die Odyssee dieses Flüchtlingsschiffes hatten dann auch Einfluss auf die Schaffung eines neuen Flüchtlingsrecht nach 1951. Entgegen vorheriger erteilter Visa wurde die Aufnahme der meisten Menschen bis auf 29 Personen verweigert.
Sowohl in den USA, aber auch in Kanada, fanden keinerlei Flüchtlinge ihre Aufnahme. Zurück in Europa wurden nach längeren Verhandlungen mit Unterstützung jüdischer Organisationen die Flüchtlinge auf England, Belgien, Niederlande und Frankreich verteilt. Die beste Chance hatten alle 288 Flüchtlingen, die in England aufgenommen wurden. 620 blieben im Gebiet, dass von der deutschen Wehrmacht besetzt wurde. 254 von ihnen wurden Opfer des Holocaust.
Teil 2:
Auch im Juni 2018 kam es zu einer Irrfahrt wie bei der St. Louis. Auf dem Seenotrettungsschiff Aquarius waren 629 Menschen vor der Küste Lybiens. Der rechtsextreme Innenminister von Italien, Matteo Salvini von der Lega Nord, verweigerte die Anlandung des Schiffes, dann auch Malta und Korsika.
Spanien nahm dann die Flüchtlinge auf.
Einige Wochen später waren auf dem Schiff Lifeline 234 Flüchtlinge aufgenommen worden. Ihnen stand eine ähnliche Odyssee bevor. Hier überlegte es sich Malta dann und nahm die Flüchtlinge auf, verklagte dann aber den Kapitän. Er wurde erst zwei Jahre später freigesprochen.
Das Erschreckendere ist hierbei aber das nicht öffentliche Leid. Denn sicherlich zehntausende Flüchtlinge sind auf der Flucht über das Mittelmeer gestorben.
Die rechtsextremen Regierungen Europas und alle die ihnen nacheifern sind daran Schuld. Auch unsere Regierung, die nichts tut und allem einfach nachgibt.
Eine EKD-Delegation hat kürzlich Lesbos besucht und festgestellt, wie unhaltbar die Zustände der Flüchtlinge dort sind. Das Lager ist wie ein riesiges Gefängnis, aus dem es kein Entrinnen gibt. Haben Flüchtlinge tatsächlich das Glück, anerkannt zu werden, kann es noch ein Jahr dauern, bis sie die Insel verlassen dürfen.
Noch schlimmer sind die Zustände in Bulgarien, einem der Zielstaaten von Dublin-Abschiebungen; also von Abschiebungen in die Erstregistrierungsländer an der EU-Außengrenze. Eine Delegation von Kirchenasyl-Aktiven aus Berlin-Brandenburg, Bayern und Nordrhein-Westfalen, ist Anfang September für 8 Tage nach Bulgarien gereist, um Recherchen zur Situation der Flüchtlinge dort zu machen. Ich zitiere aus einem Bericht des ITP:
(Zitat:) Es wurden zahlreiche Interviews mit Geflüchteten in dem größten Lager des Landes, Harmanli, an der türkisch-bulgarischen Grenze geführt und mit NGOs gesprochen: Alle berichteten von Gewalt durch das Aufsichtspersonal und der Polizei in den Lagern und Abschiebegefängnissen, jedoch auch über die Obdachlosigkeit derer, die in kein Lager aufgenommen werden. Die Menschen in den Lagern leiden unter Krätze. In Harmanli ist das Leitungswasser mit Giftstoffen kontaminiert, so dass es zu Hautausschlägen und Wundheilungsstörungen kommt – was schlecht und unzureichend behandelt wird mangels Ärzt*innen in den Lagern.
„Ich möchte niemanden in der ganzen Welt wünschen, dass er einen Tag oder Nacht im Camp Harmanli verbringen muss. Es ist die Hölle.“ sagte ein syrischer Kriegsflüchtling, der nun in Bulgarien anerkannt lebt und täglich um Arbeit und Wohnung kämpfen muss.
Die Delegation wurde Zeuge der massiven Gewalt an denjenigen, die versuchen den 600 km langen Grenzzaun in die EU zu überwinden und Pushbacks erfahren. Allein 2023 gab es hier über 50 Todesfälle die der bulgarische Grenzschutz und Frontex hier mitzuverantworten haben.
Im Gespräch mit der Leitung der bulgarischen Migrationsbehörde SAR hat man uns stolz erzählt, man sei ganz im Sinne der EU effektiv in der Einreiseabwehr und man beteilige sich engagiert bei der Rücknahme von Dublin-Abgeschobenen, was am 31.03.2024 Bulgarien eine Mitgliedschaft im Schengenraum beschert hat. Zugleich setzt man faktisch alles daran, dass die rechtlichen und sozialen Bedingungen für Geflüchtete so schlecht sind, dass Bulgarien ein Transitland bleibt.
Diese organisierte Menschenverachtung der EU, bei der das abhängige Land Bulgarien das ausführende Organ ist, hat vor allem einen offenbarenden Charakter über den festungskapitalistischen Zustand Europas. (Zitatende)
Aber auch in Deutschland gibt es Flüchtlingslager ohne Perspektive. Pfarrerin Sabine Steinwender berichtet von einem Lager mit 5000 Flüchtlingen in Berlin Tempelhof auf dem ehemaligen Gelände des Flughafens:
(Zitat:) Sie sind geflüchtet vor Krieg, Hunger und Verfolgung. Kommen aus der Ukraine, dem Irak, Syrien und Afghanistan. Leben – oder sollte man besser sagen vegetieren – in 45 Zelten – notdürftig in einzelne Waben unterteilt, nach oben offen und entsprechend laut. Auch nachts. In den Stockbetten Frauen, Männer und Kinder alle durcheinander. Kinderbetten sind verboten, Lebensmittel auch. In der Nacht schreien die Kinder, weil sie Hunger haben. Die Verpflegung katastrophal. Ebenso die sanitären Anlagen. Nein, es ist kein Übergangslager. Menschen leben hier schon seit vielen Monaten, manche seit Jahren.
In der Bibel heißt es „Der Fremde, der sich unter euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten.“ (3. Mose 19,34). Im Artikel eins des Grundgesetzes heißt es: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“
„Ich weiß nicht, was mich mehr traumatisiert hat: die Zeit in Tegel oder der russische Krieg in der Ukraine,« sagt Oleksandr. Er ist 34 Jahre alt, Ingenieur und stammt aus Charkiw.
Tetiana -Lehrerin aus der Ukraine – sagt: „Ich weiß nicht, was ich angestellt habe. Warum ich hier gelandet bin. Für mich ist das hier schlimmer als der Krieg zu Hause. Ich fühle mich wie in einem Gefängnis.“
Es fehlt der Aufschrei der Bevölkerung. Auch der Kirchen darüber, wie der Staat mit Gottes Ebenbildern aus anderen Ländern umgeht. „Ich bin ein Flüchtling gewesen und ihr habt mich aufgenommen“, sagt Jesus. (Zitatende)
Immerhin hat die EKD-Synode letzte Woche zum Thema „Flucht, Migration, Menschenrechte“ in Würzburg getagt. Wir können nur hoffen, das die Kirchen den Druck auf die Politik erhöhen.