Nazis in Münster und eine Stadt schaut weg
6. November 2010
Ende der 70er Jahre trieben Neonazis in Münster und im Münsterland ihr Unwesen. Antifaschistinnen und Antifaschisten wurden bedroht, Hakenkreuze ans Rathaus gesprüht und gar ein Anschlag auf den Longinusturm in Nottuln verübt, um die Ausstrahlung der Holocaust-Reihe im Fernsehen zu verhindern.
Drohung vor dem Haus von Christoph Sann am 8.9.1977
Polizei, Staatsanwaltschaft und Politik sahen dem Treiben zu, ohne Einhalt zu gebieten. Als Antifaschistinnen und Antifaschisten den damaligen Oberbürgermeister Pierchalla besuchten, um eine Petition gegen diese neofaschistischen Umtriebe mit 1.000 in kürzester Zeit gesammelter Unterschriften zu übergeben, erklärte dieser, er wolle sich als „nützlichen Idioten“ vor den Karren von Kommunistinnen und Kommunisten spannen lassen: „Er schloß seinen Monolog mit der ungeheuerlichen Unterstellung, die Nazischmierereien könnten schließlich auch von Kommunisten angebracht worden seien, damit die Kommunisten einen Anlaß hätten, gegen angebliche Nazis vorzugehen“, so in der Broschüre.
Die Verfahren gegen Neonazis wurden zu meist eingestellt: Von 130 Verfahren führten „lediglich sechs (!) Verfahren“ zu einem rechtskräftigen urteil oder einem Strafbefehl.
„Die Nachlässigkeit, mit der die Behörden unserer Stadt gegen neonazistische Umtriebe ermitteln, steht in einem bezeichnenden Kontrast zur Akribie und Strenge, mit der sie gegen Antifaschisten operieren:
Mitte Juli 1978 fand am Servatii-Hochhaus in Münster eine von Bund demokratischer Wissenschaftler und dem Arbeitskreis Umwelt durchgeführte Protestkundgebung gegen die Pläne der Landesregierung statt, in NRW noch mehr Atomkraftwerke zu bauen (Landesentwicklungsplan VI).
Für den gleichen Ort und zur gleichen Zeit hatte die Stadt Münster kurzfristig einer Gruppe von Alt- und Neonazis einen Informationsstand genehmigt. Offensichtlich spekulierte man von Seiten der Stadt bewußt auf eine Auseinandersetzung zwischen den beiden Gruppen, um dieses dann propagandistisch ausnutzen zu können. Die Kundgebungsteilnehmer gegen den Landesentwicklungsplan VI fühlten sich zu Recht provoziert, zumal der Stand der „Hilfsgemeinschaft Freiheit für Rudolf Hess“ den genehmigten Platz für die Abschlußkundgebung der Kernkraftwerkgegner versperrte. Es kam zu Auseinandersetzungen und von Seiten der Nazis zu Anzeigen gegen die zwei Kundgebungsteilnehmer Ewald Halbach und Christoph Matschinski. In der ersten Instanz verurteilte das Amtsgericht Münster die beiden wegen versuchter Nötigung in Tateinheit mit Sachbeschädigung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 40 bzw. 15 DM.“
Diese Verurteilung konnte später durch antifaschistischen Protest und die Widerlegung der Behauptungen der Neonazis durch den die Antifaschisten vertretenden Anwalt in der Berufungsinstanz aufgehoben werden.
Antifaschisten wurden aber auch mit Berufsverboten belegt. Ausführlich wird der Fall eines Antifaschisten dokumentiert, der in der „Münsterschen Zeitung“ einen Leserbrief geschrieben hatte, um dagegen zu protestieren, dass Politik und Verwaltung erst nach einer „Odyssee“ aktiv wurden, um das oben erwähnte Hakenkreuz vom Rathaus zu entfernen: „Am Ende einer langen Telefon-Odyssee, am Spätnachmittag endlich, kam dann die Feuerwehr, um das Terrorsymbol am Rathaus zu entfernen.“ Dieser Leserbriefschreiber konnte erst vor dem Arbeitsgericht das gegen ihn verhängte Berufsverbot aufheben lassen. Zum Stand der Broschüre war das Verfahren in zweiter Instanz anhängig: „Nur eine breite Solidaritätsbewegung mit Ch. Sann wird dies verhindern und den ersten Erfolg vor dem Arbeitsgericht Münster sichern können“, so das Fazit der Broschüre.
Abschließend thematisiert die Broschüre das neofaschistische Treiben an der Uni Münster. Auch hier wurden Dozenten und Studenten durch Studenten aus dem Umfeld des „Ring freiheitlicher Studenten“ bedroht und verprügelt.
Broschüre: Nazis in Münster und eine Stadt schaut weg (1647 KB / 52 S.)