Zerschlagung der Gewerkschaften vor 83 Jahren

11. Mai 2016

Gedenken am 02. Mai 2016 am alten ADGB-Haus in Münster

Redebeitrag von Carsten Peters an der Gedenktafel in der Dammstr. 23a

Der heutige Tag ist der 83. Jahrestag der Besetzung der Gewerkschaftshäuser am 2. Mai 1933.

An diesem Tag zerschlugen die Nationalsozialisten die freien Gewerkschaften und verhafteten, wie überall in Deutschland, auch hier in Münster führende Gewerkschafter und enthoben sie all ihrer Funktionen. Wir stehen hier am Ort des historischen Gewerkschaftshauses, dort wo die Erstürmung des Hauses vor 83 Jahren geschah. Aus Münster ist folgendes bekannt: Seit dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts gab es in der im wirtschaftlichen Aufschwung stehenden Westfalenmetropole Münster vielfältige Bestrebungen der abhängig beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sich selbstständig zu organisieren, um ihre Rechte zu vertreten. Die gewählten Kolleginnen und Kollegen dieser Bewegungen wurden in ihren Aktivitäten auch zu der Zeit schon vielfach, insbesondere von ihren Arbeitgebern, behindert bis hin zu willkürlichen Kündigungen derjenigen, die sich an die Spitze dieser Bewegung gestellt hatten und bereit waren, Verantwortung zu übernehmen.

In den 20er Jahren gab es in Münster 20 im ADGB zusammengeschlossene Gewerkschaften. Auch die Christlichen Gewerkschaften spielten zur damaligen Zeit eine nicht unmaßgebliche Rolle. In Münster waren sie besonders stark vertreten.

Die Gewerkschaftsführungen hatten nach der Machtübertragung an Adolf Hitler am 30.01.1933 noch auf Anpassung und den Versuch gesetzt, unter den neuen Machthabern quasi zu „überwintern“ und die Organisation zu retten. Auch rief der ADGB zur Teilnahme am 1. Mai 1933, der nun „Tag der nationalen Arbeit“, hieß auf. Der nationalsozialistische Staat und sein Ziel, alle Lebens- und Sozialbereiche der Menschen zu dominieren, waren jedoch mit den „Sozialistengesetzen“ der Kaiserzeit nicht zu vergleichen.

Dies zeigte sich auch in Münster an mehreren Übergriffen bereits vor dem 2. Mai: Am 8. und 9. März 1933 zogen SA- Leute vor das Haus, stürmten es und verbrannten draußen Fahnen der Gewerkschaften und des Reichsbanners.

Am 31. März 1933 wurden in Münster die Gewerkschaften von der SA heimgesucht. Der SA-Mann Deinaz erschien am Vormittag beim Münsteraner Polizeipräsidenten. Er forderte ihn auf, zwei Polizeibeamte zur Durchsuchung des Gewerkschaftshauses an der Dammstraße abzustellen. Wissen muss man, dass zahlreiche SA-Mitglieder mit Erlass vom 22.Februar 1933 inzwischen zu Hilfspolizisten ernannt worden waren.

Deinaz gab an, er solle im Einverständnis mit der Gauführung eine Durchsuchung nach marxistischen Schriften und Waffen vornehmen. Die Durchsuchung des Gewerkschaftshauses wurde von 60 SA Leuten und 2 Kriminalpolizisten durchgeführt.

Wie in anderen Städten wurden auch in Münster Einrichtungen und Bürogegenstände gestohlen, demoliert, Aktenmaterial vernichtet. Die vorgefundenen Zeitschriften, das Bibliotheks- und Archivmaterial, Fahnen der Arbeiterbewegung verbrannten die SA-Leute auf der Wiese vor dem Gewerkschaftshaus. Auf dem Dach wurde die Hakenkreuzfahne gehisst.

Auf den überlieferten Bildern dieser Zerstörungsaktion kann man erkennen, dass zur Bücherverbrennung auch Hitlerjungen eingesetzt wurden, die sich voller Stolz dabei fotografieren ließen. Die erste Verbrennung von Büchern fand in Münster bereits vor dem 10.5. statt.

Das Gewerkschaftshaus wurde dann von der SA besetzt, die Räume versiegelt und erst am 7.4. dann von der Polizei übernommen, die sich ebenfalls aus SA-Leuten rekrutierte. Für das Gewerkschaftshaus wurde eine „Hausordnung“ erlassen, die folgendes bestimmte: „Sollte die SA aber auf der anderen Seite merken, dass von Seiten des Publikums – (also der Kolleginnen und Kollegen) geplant ist, Feindseligkeiten zu begehen, oder passiven Widerstand unseren Anordnungen entgegenzusetzen, so wird die SA das tun, was sie für richtig hält, und auch vor schärfsten Maßnahmen nicht zurückschrecken.“

Am 2. Mai 1933 schließlich wurde das Gewerkschaftshaus an der Dammstraße besetzt und die Sekretäre Fritz Niemeyer, Michael Wenig, Friedel Rabe und Fritz Schmidt und B.Schulze verhaftet.

Über das Leiden der Münsteraner Gewerkschafter berichtete ein Zeitzeuge: „Das Schicksal der gefangenen Gewerkschaftsfunktionäre war hart. In einem Keller, Nähe der Gaststätte „Schwarzes Lamm“ an der Mariensäule, wurden sie nach den Methoden der SA verhört. Einige dieser Männer verließen den Keller mit bleibenden gesundheitlichen Schäden, andere wurden zur Zwangsarbeit in die Moorlager gebracht.

Zumindest B.Schulze wurde am 6. Mai aus der sog. „Schutzhaft“, richtigerweise: der Folter, entlassen. In dem Polizeiprotokoll zur sog. „Schutzhaftentlassung“, das der Kollege Schulze unterschreiben musste, hieß es: „Mir ist eröffnet, dass ich aus der Schutzhaft entlassen werde, da inzwischen die Gleichschaltung der freien Gewerkschaften erfolgt ist. Mit Rücksicht hierauf werde ich nichts unternehmen, was in politischer und gewerkschaftlicher Hinsicht zu irgend welchen Störungen Anlaß geben könnte. Mir ist eröffnet, daß ich erneut in Schutzhaft genommen werden, falls ich mich in gewerkschaftlichem Sinne marxistischer Art betätige.“

Für die anderen Kollegen ist das Entlassungsdatum nicht bekannt.

Soweit zu den bekannten Ereignissen aus der damaligen Zeit in Münster.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren!

Die Diktatur der Nationalsozialisten ist bis heute ein warnendes Fanal das immer noch hell leuchtet. Sie zeigt wie eine moderne, fortschrittliche und kultivierte Gesellschaft so rasch in die Barbarei sank, die in einem ideologischen Vernichtungskrieg in räuberischer Eroberung von kaum vorstellbarer Brutalität gipfelte.

Das tiefreichende Erbe, das moralische Trauma, das er der Nachwelt hinterlassen hat, ist uns immer noch gegenwärtig. Die Auseinandersetzung mit der deutschen Variante des Faschismus, dem „Nationalsozialismus“ bleibt eine dauerhafte Aufgabe der Gewerkschaften. Kommt doch im Namen der faschistischen Organisation NSDAP die Gegenbewegung zur Arbeiter-, Arbeitnehmerbewegung zum Ausdruck.

Werfen wir daher einen Blick zurück: Im Jahre 1887 wird in Münster eine erste Vorläuferorganisation mit dem Namen „Deutscher Reformverein“ gegründet, der bereits das „Heilszeichen des Hakenkreuzes“ trug.

Dessen Programm war streng antisemitisch: Mitglied konnte nur werden, wer „Deutscher arischer Herkunft“ war. Der Verein verstand sich als Teil der „Deutsch-Sozialen-Bewegung“ jener Jahre, die sich gegen die Gleichberechtigung der jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger richtete und zugleich gegen die Arbeiterbewegung richtete. Bis 1924 blieb der Verein im Einwohnerbuch der Stadt verzeichnet. Die Bibliothek des Vereins fand über den „Deutschen Schutz- und Trutzbund“ – der ebenfalls das Hakenkreuz als Symbol trug – den Weg in die NSDAP-Ortsgruppe Münster, die als erste in der Region 1922 gegründet wurde. Der Schriftführer des Vereins war Gründungsmitglied der NSDAP.

Auch in Münster gab es vor allem in der Frühzeit der Weimarer Republik eine große Anzahl von republikfeindlichen Organisationen gab, neben denen die frühe NSDAP, die am 22.September 1922 gegründet worden war, nur eine von vielen war. Das oft vermittelte historische Bild, das Münster bis zu den frühen 30er Jahren bezogen auf Aktivitäten der sog. „Rechtsbewegung“ eine Art „Insel der Glückseligen“ war, muss deutlich korrigiert werden.

Fritz Niemeyer (ADGB- Sekretär) hatte am 27.6.1923 in einem Brief an den preußischen Innenminister geschrieben: „Münster und München, beides ist gleich“ und Münster sei eine „Hochburg der „Völkischen“ und „National-Sozialisten“. Drei Tage zuvor war in der Nacht vom 23.-24.6. das Druckgebäude der sozialdemokratisch-freigewerkschaftlichen Tageszeitung „Volkswille“ in der Burgstraße Opfer eines Sprengstoffanschlags geworden – am ersten Jahrestag der Ermordung des Außenministers Walther Rathenaus durch die rechtsradikale Geheimorganisation „Consul“. Auch wenn die dunklen Quellen jener Jahre nicht mehr vollständig sind, so finden sich Hinweise in Quellen, dass diese Mörder- Organisation auch in Münster – neben Elberfeld – eine von mehreren „Kommandostellen“ hatte. Auch in Münster gab es nach Lage der Dinge eine „Schwarze Reichswehr“.

Der ADGB hatte für diesen Tag gemeinsam mit SPD, USPD und KPD in Münster zu einer Kundgebung Pro Weimarer Republik aufgerufen. Zwei der Täter wurden verurteilt und zwar zur Mindeststrafe von 5 Jahren Zuchthaus – strafmildernd wurde bewertet, dass sie aus „nationalen“ Beweggründen gehandelt hätten. Beide waren NSDAP- Mitglieder und Ehrenmitglieder des Stahlhelm, das wurden sie dann nach ihrer Tat; ordentliches Stahlhelm-Mitglied konnte nur werden, wer Soldat im 1.Weltkrieg war.

Befohlen hatte die Sprengung Franz Pfeffer von Salomon, der als Anführer des „Freikorps Westfalen“ 1920 die Arbeiteraufstände an der Ruhr blutig niedergeschlagen hatte. 1924 gründete er mit Goebbels den Gau Westfalen der NSDAP, ab dem 1.1.1926 ernannte ihn Hitler zum Obersten SA-Führer, Heinrich Himmler wurde als sein Sekretär angestellt.

Einer der Täter, der die Bombe gelegt hatte, war Heinz Kölpin gewesen. Kölpin hatte sich 1922 von seinem Dienst als „politischer Kriminalkommissar“ mit 35 Jahren „pensionieren“ lassen und betrieb nun ein privates „Nachrichtenbüro“. Tatsächlich diente das sog. „Nachrichtenbüro“ als Teil der illegalen Organisation „Zentrale Nord, Nachrichtenstelle“, deren Hauptstützpunkt in Wesel war. Dieses Büro gehörte in Wirklichkeit zum Münsteraner Wehrkreiskommando XI, die private Fassade war Tarnung. Kölpin konnte mit jeder staatlichen, kommunalen oder sonstigen Stelle in Verbindung treten und sie falls erforderlich zu jeder Form von Amtshilfe veranlassen. Ich zitiere: „In dieser Stellung unterstützte er den Kampf (…) gegen Spartakus und andere Umsturzgefahren und half durch die Aufdeckung der Organisation der Roten Armee (…) die ersten schweren Gefahren für die Weimarer Regierung mit zu bannen.“ Dieses Zitat stammt aus den WN vom 18.4. 1957, die diesen Artikel zu Kölpins 70.Geburtstag verfasst hatten. Kölpin hatte in der Roten Ruhrarmee zahlreiche Agenten platziert, durch die das Wehrkreiskommando in Münster über alle ihre Schritte informiert war. Zusammengefasst: Es gab eine direkte Linie vom Wehrkreiskommando/Reichswehr zu den Freikorps und dem terroristischen Sprengstoffanschlag auf das SPD-Gebäude an der Burgstraße. Dass diese Linien weiterhin politisch wirksam waren, liegt auf der Hand!

Die Zuschreibung des Kollegen Niemeyer bezog sich – in erster Linie für die Zeit vom Frühjahr 1923 bis Ende 1924, der Zeit der französischen Ruhrgebietsbesetzung, und der Flucht vieler Freischärler, die in Münster Unterschlupf fanden und gegen die Besatzung kämpften. Gleichwohl gab es auch in Münster ein Milieu von etwa 2.000-4.000 aktiven Personen, die in jenen Jahren einen republikfeindliches, rechtes Spektrum bildeten: Kriegervereine, Stahlhelm, Deutscher Schutz- und Trutzbund, Westfalen-Treubund, „Organisation Eschrich“ und studentische Gruppen – Organisationen, die im rechtskonservativ-rechtsnationalistischen Bereich anzusiedeln sind und eigenständig in der Lage waren zu handeln und Veranstaltungen zu organisieren. Noch zu nennen ist die Organisation Wiking, der Name wurde u.a. als Fortführung der „Organisation Consul“ genutzt. Von Pfeffer hatte hier reichsweite Kontakte.

Münster war – auch aufgrund des stationierten Militärs – eine „regionale Ordnungszelle“. Wobei dieser Begriff wie so viele andere euphemistisch ist und den wahren Charakter verschleiert: Von Münster aus zerschlug General Watter die „Rote Ruhrarmee“, die aus dem erfolgreichen Generalstreik des Jahres 1920 gegen den Kapp-Putsch hervorgegangen war. Bis zu 300 Arbeiter und Arbeitersamariterinnen wurden erschossen. Die Freikorps, die neben der Reichswehr für die Standgerichte verantwortlich waren, trugen ebenfalls das Hakenkreuz auf dem Stahlhelm.

Was kaum bekannt ist: Direkt nach der Revolution vom 9.November 1918 wurden 60 Soldaten des Kürassierregiments aus der Reiterkaserne nach Berlin befohlen, wo sie die Revolution mit beenden und niederkämpfen sollten. Später kehrten die Soldaten nach Münster zurück und waren an der Niederschlagung des Arbeiteraufstands an der Ruhr 1920 beteiligt. Festzuhalten ist: Direkt nach Kriegsende und den Kämpfen gegen den „äußeren Feind“ wurden diese Soldaten gegen den „inneren Feind“ – die Arbeiterbewegung – eingesetzt. Die gleichen Soldaten, die zuvor den Putschversuch von Kapp und Lüttwitz unterstützt hatten, wurden nun gegen die eingesetzt, die mit ihrem Generalstreik den rechten Putsch zum Scheitern gebracht hatten.

Zu nennen ist in diesem Zusammenhang noch die sog. „Akademische Wehr Münster“: Mehrere Hundert Studenten beteiligten sich in dieser Formation an Bluttaten der Freikorps. Ihr „Führer“ war Prof. Hubert Naendrup, Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät und 1933 erster Universitäts-Rektor mit NSDAP-Parteibuch. Der Kommandeur der Münsteraner Division bedankte sich bei der AW u.a. mit folgenden Worten: „Aus rein idealen Gründen sind sie dem Rufe des Vaterlandes zum Kampf gegen den Bolschewismus gefolgt. In den Tagen, wo ernstlich mit der Bedrohung Münsters gerechnet werden musste, war die Hilfe der AW von entscheidender Bedeutung. Leider ist es nicht möglich gewesen, die Operation gegen die Bolschewisten so zu führen, wie es der Soldat gewünscht hätte.“ M.a.W.: Die Freikorps hätten gern noch mehr Arbeiterinnen und Arbeiter getötet.

An der Uni befand sich zudem eine Werbebüro, das Studenten anwarb, um in den Freikorps zu kämpfen, u.a. in dem Freikorps Lützow, das ebenfalls 1918/19 in Berlin eingesetzt war.

Zur Rolle der Uni Münster noch Folgendes: Sie war ein Zentrum der Kriegspropaganda des 1.Weltkriegs. Nicht nur, dass Schriften verfasst wurden, die die Kriegsziele rechtfertigten, das geschah auch an anderen Hochschulen. Eine Gruppe von Professoren – fakultätsübergreifend zusammengesetzt – fungierte als Verteilerstelle der Kriegszieldenkschriften der Wirtschaftsverbände und sie waren ein „Freundeskreis“ des Pressekonzerns von Alfred Hugenberg, der 1933 in das Kabinett Hitler eintrat und mit seiner DNVP den Nazis zur parlamentarischen Mehrheit verhalf. Hier ist sicherlich noch Forschungsarbeit zu leisten.

Ein Zitat noch, das viel über das damalige politische und gesellschaftliche Klima auch im zentrumsdominierten Münster aussagt: Von den Kanzeln der Kirchen verkündete ein „Oberhirtliches Schreiben“ zur ersten Wahl zur Nationalversammlung 1919: „Die bevorstehenden Wahlen bedeuten einen Kampf für oder gegen das Christentum, für und gegen die Freiheit der Kirche….Die sozialdemokratische Partei ist religionsfeindlich, von ihr geht der Ansturm aus, der uns droht. Auch die deutsche demokratische Partei steht im Kampfe um die konfessionelle Schule gegen uns.“

Die Gefahr der Ideologie, die NSDAP und andere Organisationen verkörperten, wird heute nicht mehr verharmlost wie zu Anfang des 20. Jahrhunderts, aber wir sollten uns davor hüten zu glauben, dass sich das Problem „nur“ auf eine Hand voll von Neonazis beschränkt.

Auch heute lautet das Programm der Neonazis Gewalt. Mehr als 180 Menschen sind seit der Wende 1989/90 von Neonazis getötet worden: Menschen ohne deutschen Pass, anderen Glaubens und politisch Andersdenkende, die nicht in das beschränkte Weltbild der Täter passten. Die Zielgruppen sind die gleichen, wie sie 1933 waren. Gewerkschafter sind wieder genauso Ziel dieser Übergriffe. Dies hat sich gestern in Zwickau gezeigt, als 200 Rechte die DGB-Kundgebung angriffen und störten. Klar muss sein: Den Anfängen wehren, keinen Meter den Nazis!

Die Vorgänge am 1. Mai 2008 in Rheine als NPD- Anhänger die DGB- Versammlung störten und die Anwesenden beschimpften, zeigt, dass all dies nicht weit weg ist und die Gewerkschaften auch zu den Feinden der neuen Nazis zählen. Auch in der Region Münsterland wie Hamm, Bocholt und Rheine hat es Angriffe auf Kollegen durch Neonazis gegeben. Aktive Neonazi-Gruppen finden sich heute in Hamm, Ahlen, Oelde; auch in Münster hatte sich eine Gruppe gebildet, die sich „Nationale Sozialisten“ nannte und am 3.März 2012 in Münster ihre Hassparolen mit 300 Nazis öffentlich verbreiten konnte. Die Angehörigen dieser Gruppe haben sich nach unserem Wissen in der Partei „Die Rechte“ neu zusammengefunden. Wobei diese jedoch für den Bereich Münsterland keine nennenswerten Aktivitäten zustande brachten und ihre Internet-Präsenz nicht mehr vorhanden ist. Auch der Versuch ein „Nationales Zentrum“ im Münsterland zu schaffen für das Spenden gesammelt wurden, konnten sie nicht realisieren.

Es ist daher auch notwendig, nicht nur „besorgt“ diese Entwicklung zu kommentieren, sondern sich aktiv Neonazis, wo immer sie auftauchen, entgegenzustellen. Egal, ob es sich um (geplante) Nazi- Aufmärsche, rechte und fremdenfeindliche Propaganda am Jugendzentrum oder am Arbeitsplatz oder im Viertel handelt. Es gilt nach wie vor: Wehret den Anfängen!

Wie damals versuchen Neonazis – und nicht nur sie – mit vermeintlich sozialen und heute globalisierungskritischen Parolen an Boden zu gewinnen. Auch heute missbrauchen sie die Unsicherheit und Zukunftsangst vieler Menschen. Rechtsextremisten sagen „Schluss mit Hartz IV“ und wollen im gleichen Atemzug einen sog. „Arbeitsdienst für Unvermittelbare“ getreu dem „Reichsarbeitsdienst“ der Nazizeit einführen.

Dies korrespondiert mit der – ich setze es ausdrücklich in Anführungszeichen – „Beschäftigungspolitik“ der Nazis: Die Kolleginnen und Kollegen beim Bau der Autobahnen wurden gezwungen, zu sog. „Löhnen“ zu arbeiten, die weit unter den Sozialhilfesätzen lagen. Viele konnten ihre Familien nicht ernähren. Wer sich weigerte, kam ins Konzentrationslager. U.a. das Autobahnprogramm als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme hatte Hitler am 1. Mai 1933 verkündet. Hier ist auch heute noch Aufklärungsarbeit zu leisten. Der eine oder andere hört auch heute noch etwas über die angeblich „guten Jahre“ des Dritten Reiches.

Heute fordern Neonazis und nicht nur sie: „Arbeitsplätze zuerst für Deutsche. Sie hetzen Menschen, die Angst um ihren Arbeitsplatz haben, mit rassistischen Parolen gegen Menschen mit Migrationsvorgeschichte auf. Sie hetzen gegen die Schwächsten der Schwachen: Gegen Flüchtlinge, die vor Kriegen und Katastrophen geflüchtet sind. Die Vorgänge in Tröglitz, Heidenau und inzwischen vielen anderen Orten gehören zu vielen beschämenden Höhepunkten. In Münster-Hiltrup hat es in der letzten Woche einen Brandanschlag auf eine im Bau befindlichen Flüchtlingsunterkunft gegeben. Es ist gut, dass sich die Parteien, viele gesellschaftliche Gruppierungen und zahlreiche Bürgerinnen und Bürger dagegen öffentlich positioniert haben. Mehr als 150 Menschen kamen Samstag zu einer kurzfristig anberaumten Kundgebung des Bündnisses „Keinen Meter den Nazis“ und dem Bündnis gegen Abschiebungen zusammen. Oft wurde betont: Damit hätten wir in Münster nicht gerechnet. Dabei hatte es Anfang der 90er Jahre auch zwei Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte – einer unweit der heutigen Unterkunft – gegeben. Es ist auch und gerade Aufgabe von Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern vor diesem Hintergrund um eigene Lösungsvorschläge zu kämpfen und solidarische Haltungen zu vermitteln und für eine solidarische Gesellschaft zu kämpfen.

Wir mussten und müssen uns auch mit der AfD und Pegida beschäftigen: Wer sich mit den Vorstellungen dieser Partei und Pegida auseinandersetzt, sieht vor allem eines: Die Suche nach Sündenböcken, nach Schuldigen für die eigene oder vermeintliche gesellschaftliche Misere – jedoch keine Lösungsvorschläge. Und die als Lösungen angedienten Vorschläge – Austritt aus der EU, härtere Strafen gegen Kriminelle, Herabsetzung der Strafmündigkeit, Begrenzung der Zuwanderung und mehr Abschiebungen – dienen der Stimmungsmache und Hetze, nicht jedoch tatsächlichen Problemlösungen. Sie wollen zurück in eine Welt, die es allenfalls in ihrer reaktionären Vorstellungswelt einmal gab. Dass bei den jüngsten Landtagswahlen auch zahlreiche Gewerkschafter*innen und Arbeitslose die AfD wählten, muss auch uns zu denken geben und stellt eine große gewerkschaftliche Herausforderung dar.

Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass wir uns heute hier versammeln und uns in dieser Gedenkveranstaltung an eine Entwicklung erinnern, an deren Ende viele Menschen ihr Leben gelassen haben. Der 1. Mai 1933 war vom Tag der Solidarität, des Friedens und der sozialen Gerechtigkeit zu einem Tag geworden, der auf den Völkermord vorbereitete. Banner der Arbeitnehmerbewegung wurden durch Heerschauen und Waffendemonstrationen ersetzt.

Deshalb freut es mich, dass es uns gelungen ist, im vorletzten Jahr die Gedenktafel am Haus anzubringen. 20130502_2_b2013_1

Es ist wichtig, wieder den Wert freier Gewerkschaften zu erkennen: Parteipolitisch unabhängig, aber nicht unpolitisch. Einheitsgewerkschaften, die für die Interessen der arbeitenden und arbeitslosen Menschen eintreten. Dies bleibt das Vermächtnis derjenigen, die sich vor 1933 für die Rechte der Arbeitnehmer eingesetzt haben, die zwischen 1933 und 1945 verfolgt wurden und die – auch in Münster – Widerstand geleistet haben. Es gab bis 1935 in Münster eine Zeitung mit dem Namen „Der Rote Arbeiter“, die zum Widerstand gegen die Nazis aufrief. Die Zeitung wurde von Arbeitern der unterschiedlichen, vormaligen Gewerkschaften herausgegeben. 1935 wurden die Arbeiter verhaftet und vorm OLG Hamm zu Zuchthausstrafen verurteilt.

Eine zersplitterte und zerstrittene Arbeitnehmerbewegung war am Ende der Weimarer Republik nicht mehr handlungsfähig wie noch zu Beginn der Republik, als mit einem Generalstreik der reaktionäre Kapp-Lüttwitz-Putsch in die Knie gezwungen wurde.

Wilhelm Leuschner, der ehemalige stellv. ADGB- Bundesvorsitzende, der sich nach 1933 im Widerstand betätigte und nach dem 20. Juli 1944 hingerichtet wurde, war einer derjenigen, die früh für eine gewerkschaftliche Einheit kämpfte. Seine letzten Worte waren: „Morgen werde ich gehängt. Schafft die Einheit!“ Leuschner war für den Fall eines gelungenen Umsturzes als Vizekanzler gehandelt worden.

Wir sollten auch heute nicht vergessen, dass das Ende der Weimarer Republik nicht an der Schwäche der Gewerkschaften lag:
Die Gewerkschaftsfeindlichkeit der Nazis, auch daran muss erinnert werden, gehörte zu den Punkten, die den besonderen Zuspruch der ökonomischen Eliten der Weimarer Republik fanden. Das wirtschaftspolitische und allgemeinpolitische Programm z.B. der „Ruhrlade“, einem Zusammenschluss der Montanindustriellen im Rheinland und Westfalen, verlangte geradezu nach einem Mann wie Hitler: Tarifverträge allenfalls im Betrieb, also nicht überbetrieblich, Beschränkung aller sozialen Ausgaben, Verringerung der Arbeitslosenunterstützung und „Kampf mit den Gewerkschaften mit aller Schärfe“, so schrieb im Sommer 1932 Paul Reusch („Gutehoffnungshütte“) an Redakteure, die in seinem Solde standen.

Uns bleibt neben dem Vermächtnis zur Einheitsgewerkschaft der Kampf für Freiheit und Demokratie. Nicht nur gegen Nazis – für den Schutz der Demokratie eintreten.

Carsten Peters, GEW/DGB Münster